Mittwoch, 16. Juni 2010
Paradise Lost
Seit Garten Eden ist viel Zeit vergangen. Das Paradies hat seine Unschuld verloren, vorbei die Zeit, da Mensch und Tier friedlich zusammen lebten. Mord und Totschlag macht auch nicht vor dem eigenen Garten Halt. Als Vegetarierin, Pazifistin und auch sonst sehr harmonieliebende Person hatte ich mich zu Beginn meiner Gärtnerkarriere in falscher Sicherheit gewiegt. Liebevoll siedelte ich Schnecken vom Gemüse zur Hecke um, schloss Freundschaft mit Ameisen, Kellerasseln und den lustigen Käferli, die alsbald meine Pflanzen bevölkerten. In einem Disney Film wäre ich strahlend inmitten des Insektenvolks gesessen, Schnecken auf der einen, Raupen auf der anderen Schulter sitzend und hätte mit ihnen im Duett ein Liedchen gesungen.
Aber dann. Dann entdeckte ich eines Morgens meine Funkien, oder was davon übrig war.
"Sie händ aagfange!" kann ich da nur sagen und so musste auch ich alsbald zu Schneckenkörnern greifen, da mein Vermieter sich leider ausdrücklich gegen die biologische Variante (Enten!) ausgesprochen hatte. Zum Glück gibt es ja heute umweltfreundliche Produkte, welche Vögel und Igel nicht schaden, etwa Ferramol. Dennoch, ein schlechtes Gefühl bleibt.
Und so ging es Schlag auf Schlag. Hatte ich in den vergangenen Jahren noch sorgfältig von Hand Läuse von den Rosen gesammelt, nur um meine Schützlinge wenig später an den Sternrusstau zu verlieren, spritzte ich auf Anraten sämtlicher Spezialisten dieses Jahr schon kurz nach dem Austrieb mit vermutlich sehr unbiologischem Fungizid. Jetzt blüht mein "Schneewittchen" aus voller Kraft.
Den Läusen hat das Gift nicht viel ausgemacht. Sie sind kurzerhand umgezogen und besiedeln jetzt so ziemlich jede meiner Pflanzen, ausser dem Lavendel. Nach einem erfolgreichen Bündnis mit den Ameisen veranstalten sie nun regelrechte Pflanzensaft-Besäufnisse und Rudelbums-Parties. Gegen die explosionartige Vermehrung kam ich allein nicht mehr an.
Neutrale Schweizerin die ich bin, wollte ich mich nicht länger in fremde Konflikte einmischen (Pflanze versus Laus) und habe beschlossen, jemand anderen die Drecksarbeit machen zu lassen, auf dass ich weiterhin meine Hände in pazifistischer Unschuld waschen kann. Und so habe ich über das Internet Verstärkung angefordert. Sie kam in Form von 100 hungrigen Marienkäferlarven, die nun für Angst und Schrecken unter den Läuse sorgen sollen. Doch ach, ich hatte nicht gewusst, dass die Ameisen-Hirten die Läuse nicht nur hinauf auf die zarten Pflanzengründe treiben, um sie dort zu weiden und zu melken. Natürlich verteidigen sie ihre Herden auch.
Da die Larven zum Lieferzeitpunkt noch nicht gross genug sind, sich selbst zu wehren, musste erst den Sennen den Garaus gemacht werden. So übergoss ich schweren Herzens alle Ameisennester entlang des Weges mit kochendem Wasser, nicht ohne pseudo-indianische Beschwörungs- und Entschuldigungsformeln zu murmeln.
Doch mein Garten hatte eine weitere ernüchternde Überraschung für mich. Nach unzähligen BBC-Dokus weiss ich zwar mittlerweile, dass Mutter Natur nun mal nach dem Fressen-und-Gefressen-werden-Prinzip funktioniert. Dennoch, vollends aus meiner heilen Welt fiel ich erst, als ich kürzlich eine Hummel etwas gar leblos aus einer Schneewittchen-Blüte baumeln sah. Erst kamen mir fast die Tränen. Dann ein filmreifer Schrei: Eine fette, weisse Spinne hatte sich in der Rosenblüte versteckt und lauerte dort, geschickt getarnt, auf Beute. Sie hatte die ahnungslose Hummel frontal gepackt und bis auf den letzten Lebenstropfen ausgesaugt. Der blanke Horror! Splatter-Movie-Stoff in meinem friedlichen Garten!
Nach anfänglichem Ekel und Schrecken tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass sich nur deshalb soviel buntes Volk in meinem Garten einnistet, weil er so schön und vielfältig ist, oder? Am gleichen Tag entdeckte ich nämlich auch einen unheimlichen, dünnen, braunen Käfer mit Hörnern am Po: ein Ohrenmüggler, verriet mir mein Herr Papa. Auch Ohrwurm genannt. Der praktischerweise Läuse fresse. Hurra! Und er hat von ganz allein den Weg zu mir gefunden!
Man müsste meinen, dass die Spinnen-Bestie nun für drei Wochen satt gewesen wäre, aber schon tags darauf schnappte sie sich eine Biene. Wenn das dickarschige Ungeheuer wenigsten Läuse fressen würde! Leider scheiterten alle meine Versuche, die Krabbenspinne, die wir mittlerweile "Görrt" getauft haben, auf Läuse-Nahrung umzustellen. Auch Ameisen verschmähte sie. Sie ruderte bloss angriffslustig mit ihren weissen Vorderbeinen und verzog sich dann blitzschnell wieder ins Innere ihrer Blütenbehausung.
Glücklicherweise blüht nun der Ziersalbei. Das lockt die Bienen aus der Gefahrenzone.
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