Freitag, 10. September 2010

Seufz



Aus irgendeinem merkwürdigen Grund kann ich glückliche Musik nicht ertragen.
Am schlimmsten sind südamerikanische sunshine-happy-dancy Bands.
Die Fröhlichkeit: aufgezwungen.
Die Trompeten: aaargh! Ich weiss schon weshalb es Trompeten sein werden, die das Jüngste Gericht einberufen. Oder Posaunen? Egal.
Der Takt: lädt einem nicht zum Tanz, sondern ist vielmehr ein musikalischer Befehl. Wer sich weigert gilt als Spassbremse, wer mitmacht, riskiert (in meinem Fall) sich schrecklich zu blamieren, lassen doch meine Unbeweglichkeit, das fehlende Rhythmusgefühl und die generelle "Spastigkeit" sofort erkennen, dass meine Wurzeln seit Generationen und Abergenerationen in der Schweiz liegen. Dazu kommt, dass es in meiner Jugend "in" war, zu headbangen und Luftgitarre zu spielen, wenn Musik lief. Nicht gerade förderlich für die Entwicklung der Tanzfähigkeit.
Ich kann nichts dagegen tun, die Art von Musik macht mich latent aggressiv. Und ich bin ein friedliebender Mensch.

Schlimmer als sunshine-happy-dancy Musik ist nur Jazz. (Sorry Liebster.)Ich weiss, dass es cool wäre Jazz zu mögen, es passt wunderbar in den hippen Künstler-Bohemian Style. Aber für mich klingt es einfach, als würden die Musiker einen verarschen wollen: Kaum wippst du im Takt, ändert er sich. Hörst du einen Ton und erwartest den nächsten, logischen, kommt sozusagen ein musikalisches "Haha-reingelegt!", indem der Ton in einer ganz anderen Tonlage zum Klingen kommt. Es gibt Pausen, wo man keine vermutet, Lieder enden völlig abrupt.
Vielleicht bin ich einfach zu wenig spontan für Jazz. Er hat zuviele Überraschungen auf Lager.
"Jazz kannst du eben nicht einfach nebenbei hören", sagte mir mal einer, der sich auskennt, oder es zumindest meint. "Es ist eine Challenge, auch für den Zuhörer, oder!"
Nun, es kommt eben stets drauf an, was man von Musik erwartet: Spass? Ruhe und Entspannung? Unterhaltung? Wissensvermittlung? Kultur? Ich jedenfalls will mich beim Musikhören nicht derart konzentrieren müssen, als würde ich eine schwierige Matheaufgabe lösen. Dann kann ich ja gleich eine schwierige Matheaufgabe lösen.
Findet man Jazz nicht gut, outet man sich also nicht nur als Kulturbanause, sondern auch als simpler Kleingeist, der nur konsumieren will.
Aber glücklicherweise ist man irgendwann in dem Alter, in dem einem das kalt lässt.

Als ich sechzehn war konnte mir die Musik nicht wütend genug sein: es beruhigte mich zu hören, dass andere sich ebenfalls so zerrissen fühlten. Sie schrien sich stellvertretend für mich den Weltschmerz aus dem Leib.

Mittlerweile bevorzuge ich ruhigere Musik. Aber noch immer mag ich vor allem Bands, denen es gelingt abgrundtief traurige Musik zu machen, oder zumindest hauptsächlich in Moll spielen. Die darin enthaltene Melancholie wirkt wie Streicheleinheiten für meine Seele.
(Hm. Ich bin wirklich ganz schön schräg. Das wäre mal ein Thema für die nächste Sitzung mit meinem Psychotherapeuten. Verdammt, dabei bin ich doch gestillt worden!)

Meine Schwestern finden ja, ich verstehe gar nichts von Musik. Was auch stimmt. Ich weiss nicht mehr, was gerade hip ist und wer out. Was als Kommerz gilt und was als Independent. (Ein Aufschrei am Familientisch, als ich nicht wusste, wer "The Smiths" ist.) Es sind Jahre her, seit ich zuletzt an einem Openair war. (Das dauerte dafür gleich eine ganze Woche und war in Ungarn. Als ich wieder zu Hause war habe ich etwa 3 Stunden lang geduscht. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Ich weiss nur, dass ich innert Sekunden sagen kann, ob ich eine Musik liebe oder ob ich sie hasse. Es gibt nichts dazwischen.

Liebe ich sie, läuft stets dasselbe Programm ab: Ich kaufe mir die CD. (Was wieder darauf hinweist, was für eine ewiggestrige Person ich bin.) Ich lege sie zu Hause ein. Ich höre sie die nächsten 4 Tage praktisch ununterbrochen. Manchmal auch länger. Das treibt einerseits meinen Liebsten in den Wahnsinn, andererseits nervt es mich selbst. Ist die Zeit des Ununterbrochenen-Hörens nämlich um, lege ich die CD weg und höre sie jahrelang nicht mehr, einfach weil ich sie nicht mehr hören kann. Dann folgt eine lange Zeit, in der ich gar keine Musik mehr höre, bis ich endlich einer neuen verfalle.

Das ist soeben geschehen. Der Musiker heisst Patrick Zimmer, alias Finn, sein Album "The Best Low-Priced Heartbreakers You Can Own".
In einem Interview äusserte er sich gegen den Konsumwahn und für ein ungezwungenes Kreativ-sein (zum Glück macht er keinen Jazz). Er näht viele seine Kleider selbst, zeichnet die Albumcovers, fotografiert, filmt und ist auch sonst ziemlich schräg drauf.
Absolut toll.
Hört rein:

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