Dienstag, 2. März 2010
Grow(n) up
Als mein Liebster kürzlich mit einem Multipack Biotta-Preiselbeer-Saft nach Hause kam, dämmerte mir eine Erkenntnis. Nun, sie dämmerte weniger, vielmehr stand sie mit brutaler Plötzlichkeit, völlig unerwünscht und in kristallklarer Schärfe vor mir:
Wir sind erwachsen.
Mein Liebster, passionierter Bier- und Red-Bull-Trinker, kaufte nicht nur aus eigenem Antrieb im Reformhaus Biotta-Saft, nein, er schnappte sich gleich ein Multipack davon. Für sich, wohlverstanden. Wegen des Vitamin C, das er als Raucher zuwenig habe. Ausserdem schmecke es gut, verteidigte er sich.
Wir sind erwachsen.
Anzeichen dafür hatte es schon länger gegeben, nun da ich darüber nachdenke: Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer sich gerade wo auf der Hitparade befindet. Er hatte sich den Nasenring entfernt und einen Mantel von Hugo Boss gekauft. Ich blieb zu meinem Entsetzen neuerdings an Kinderwägen stehen und sah mit Tränen der Rührung in den Augen auf die niiiedlichen kleinen Näschen und Händchen. Schlimmer noch, ich mache meinen Liebsten darauf aufmerksam: Ohh, guck doch maal.. Er guckt nicht nur, sondern hatte letzthin, nach der Lektüre des Zeitmagazins zum Thema Eltern-Knigge, bemerkt: "Also, unsere Kinder lassen dann nicht ihre Spielsachen in der ganzen Wohnung rumliegen!" Ich musste feststellen, dass der Kissenabdruck morgens lang und länger in meinem Gesicht sichtbar bleibt. Er überlegt sich ernsthaft, mit dem Rauchen aufzuhören und das Tattoo entfernen zu lassen. Ich entdeckte beim Ausfüllen des Wahlzettels plötzlich lauter bekannte Gesichter und Namen auf den Listen: Leute, mit denen ich in die Schule gegangen waren, kandidierten nun für den Gemeinderat. (Jaa, und ich gehe nicht nur abstimmen, sondern auch wählen!) Er meinte kürzlich, als wir ins Kino gehen wollten: "Ach lass uns doch warten, bis die DVD raus ist." Ich fing plötzlich wieder an, im Garten rumzubuddeln. Und zwar nicht, um "Superskunk" oder "White Widow" anzupflanzen.
Beide hatten wir festgestellt, dass unsere Körper sich plötzlich vehement für durchzechte Nächte rächten. Dass sie das dringende und in unserem Alter, wie ich finde, ungerechtfertigte, Bedürfnis verspüren, auch an einem Samstagabend einfach gemütlich zu Hause zu bleiben. Das letzte Mal war ich um drei Uhr früh noch wach, weil ich eine Magengrippe hatte. Und das letzte Mal um fünf Uhr morgens, weil ich vorhatte, einen Berg zu besteigen.
Neuerdings muss ich mir von meinen kleinen Schwestern sagen lassen, welches die angesagtesten Clubs der Stadt sind. Wenn ich dann genauer nachfrage, stelle ich fest, dass es dieselben sind, wie zu meiner Zeit, nur dass sie jetzt anders heissen.
Ich kann nur noch verlieren: Sag ich: kenn ich nich, bin ich öde. Sag ich: aach, das hiess doch früher..., oute ich mich als alter Sack.
Nun ja alter Sack ist jetzt vielleicht doch etwas extrem ausgedrückt. Dennoch muss ich zugeben, dass ich die 80er aus eigener Erfahrung kenne und mich daher nur noch bedingt für Schulterpolster, Leggins und wilde Farbkombinationen begeistern kann. Dass die Primarschülerinnen zu meiner Zeit noch kein Make-up trugen und alle die USA liebten. Dass die Russen die Bösewichte waren, nicht die Banker. Und ich mag mich doch noch allzugut an die Zeiten erinnern, da wir weder Internet, noch Mobiles, weder iPods noch Computergames hatten, man Vegetarier für essgestört hielt und Eltern noch mit dem Besitz einer Bravo zu schocken waren. Da die grösste elterliche Sorge nicht war, ob es der Nachwuchs an die Uni schafft und Chinesisch lernt, sondern dass er am Platzspitz landen könnte oder sich Aids holt. Es war die Zeit der Töffli-Jungs, man hörte Nirvana und Beasty Boys aus grossen Ghettoblastern, als ausgetretene Turnschuhe hip waren und XL-Karohemden.
"Mein zwanzigjähriges Ich wäre zutiefst enttäuscht von mir!" jammerte ich. Mein Liebster erwiderte: "Aber dir geht es doch jetzt so viel besser als mit zwanzig!" Da hatte er natürlich Recht. Ich kenne meinen Stärken und Schwächen. Die Zeit der Berufsfindung ist vorerst abgeschlossen. Und endlich habe ich auch die Reife gewisse Erkenntnissen zu akzeptieren:
Ich mag kein Bier. Kiffen macht mich einfach nur müde und hungrig. Ich langweile mich an Konzerten. Nicht alle Männer sind Schweine. Es ist nicht peinlich Tampons oder Kondome zu kaufen.
Ich habe mich damit abgefunden, dass ich nie, niiiiemals braun werden werde (nur rot), dass es kein Produkt gibt, welches meine Haare dicker macht und ich auch mit noch soviel Abnehmen kein schmaleres Becken kriege. Und ich respektiere, dass es mir (und den Leuten in meiner unmittelbaren Umgebung) einfach besser geht, wenn ich regelmässig esse, acht Stunden schlafe und mindestens dreimal die Woche laufe.
Auf andere "erwachsene" Sachen warte ich noch immer. Beispielsweise mag ich noch immer keinen Kaffee. Und Jazz finde ich auch immer noch so schaurig, wie als ich es das erste Mal hören musste. Ich habe es immer noch nicht geschafft, Marcel Proust oder James Joyce zu lesen, ohne einzuschlafen. Meine vor vielen Jahre beim Universum georderte Portion Selbstbewusstsein, welche mir ermöglichen würde, mich selbstsicher und eloquent in einem vollen Raum zu bewegen und gepflegten Small-Talk zu betreiben, ist noch immer nicht eingetroffen. Und ich kann auch noch immer nicht verstehen, warum die Menschen nicht einfach friedlich zusammenleben können.
Zudem hege ich heute noch eine sehr kindliche Begeisterung für Animationsfilme, Lagerfeuer, Osterhasen, Glimmer, Tüllröckchen und Karussels.
Und ich weiss noch immer nicht wie die korrekte Mehrzahlform für Karussel lautet. Karusselle? Karusseller?
Beruhigend, irgendwie.
All is not lost.
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