Dienstag, 20. April 2010
Medienschelte
Ich bin ein Spätzünder. War ich schon immmer. Egal ob ich jetzt mit einem Ringelshirt rumlaufe, das die Pariser Mädels alle schon seit einem Jahr tragen, oder ob ich Zeitungsnews kommentiere, in diesem Fall ein Artikel aus der Sonntags NZZ vom 11. April. Ihr mögt mir verzeihen, dass die Quelle nicht mehr taufrisch ist, denn thematisch hat der Inhalt kein Verfallsdatum. (Ursache meiner Alten-Fasnachts-Meldung ist der Umstand, dass ich die Zeitung secondhand lese und mich daher immer mal wieder in Geduld üben muss. Beggars can`t be choosers.)
Eigentlich soll mein Blog nicht dazu dienen, Gesellschaftskritik zu üben. Darin sind andere schlicht kompetenter. Aber die zwei jüngst erschienen Artikel haben mich so sehr beschäftigt, dass ich eine Gegenüberstellung für angebracht hielt.
So erschien im Gesellschaftsteil der Neuen Zürcher Zeitung ein Artikel mit dem Titel: "Grilliertes Hündchen", illustriert mit Bildern eines traurig und vernachlässigt aussehenden Bernhardiners an der Kette auf einem Käfig voller Kaninchen, abgehackten Tierköpfen auf Tellern und ganzen, gehäuteten Ratten.
Alles andere als appetitlich zu Kaffee und Gipfeli, auch für Nicht-Vegetarier. (Gut, nun könnte man sich streiten, wie verroht der Mensch im Allgemeinen ist, dass er neben dem Frühstück Bilder und Texte über das Elend und den Horror in Darfur oder Haiti konsumieren kann...)
Titel als auch Bilder erfüllten ohne Frage ihren Zweck als Eyecatcher. Die volle Aufmerksamkeit eines jeden Lesers war damit gewiss. Nun ist es das eine, sich als renommierte Zeitung auf das Marktschreier-Niveau der Boulevard-Presse herunterzulassen. In Zeiten des Mediensterbens hegt man dafür vielleicht noch ein gewisses Verständnis. Das andere? Der Text. Der Autor entblödete sich nicht, im Selbstversuch die kantonesische Küche auf ihre kulinarische Tauglichkeit hin zu testen, nicht ohne scheinheilig zu beteuern, wie sehr er Hunde und Katzen sonst als Haustiere schätze. Zur Rechtfertigung dient ihm die These, dass es keinen Unterschiede mache, ob man Katzen oder Kälber esse. (Eine Einsicht, die er mit Vegetariern teilt, letztere aber anders auslegen.) Zwar lehnt er, heroisch, das Gaudi ab, noch lebende Rattenembryos zu verzehren, auf den Spass des dreimaligen Quieschens verzichtend. Dafür wägt er, sich genüsslich gruselnd, auf ganzen zwei Seiten die Vor- und Nachteile von Hunde- versus Katzenfleisch ab und spickt seine im locker-flockig spassigen Tonfall gehaltene Einmannshow mit billigen Schocker-Anekdoten rund um die Zubereitung der verschiedenen Tiere ab. So soll das Fleisch noch besser schmecken, wenn der Hund vorher so richtig gelitten hat.
Die nächste Leserbrief-Welle ist damit gesichert. Und macht es den cool-krassen Fleischessern wieder mal einfach, sich über die ess- wenn nicht hirngestörten Vegetarier und die ach-soo-zart-besaiteten Tierliebhaber lustig zu machen, was sie sicher auch tun. (Huah, huah, huah. Was diiie sich wieder anstellen! Schenkelklopf!)
Meiner Ansicht nach ist der Text ein Schlag ins Gesicht des gehobenen-journalistischen-Standart-gewohnten NZZ-Lesers, aber auch eine Beleidigung für die Chinesen, die hier schlicht als Monster und böse Tierliquäler dargestellt werden.
Wie anders ging dagegen "Die Zeit" in ihrer Ausgabe vom 8. April mit dem Thema Tiere um: Im Wissen-Bund wurde auf drei Seiten (nord-deutsches Format!)in verschiedenen Artikeln die Thematik unseres Umgangs mit Haus-, Zoo- und Nutztieren beleuchtet. Als Aufhänger mit Aktualitätsbezug diente der Streit um die Forschung an Halbaffen an der Uni Bremen, der gerade in eine neue Runde geht. Zu Wort kamen, journalistisch korrekt, nebst Tierschützern auch der Versuchsleiter, kommentieren durfte Vorzeigephilosoph Richard David Precht. Und auf wirklich schlimme Bilder wurde ganz verzichtet.
Die Essenz? Um es mit dem Lead des Dossiers zu sagen: "Der Kampf gegen Tierversuche ist heuchlerisch. In unserem Alltag nehmen wir tausendfaches Leid in Kauf. Dagegen hilft kein strengeres Gesetz, sondern ein Bewusstseinswandel."
Rosen also an die deutschen Nachbarn, Kaktus für die NZZ, die sich schon im Vorfeld der Tieranwalt-Initiative nicht gerade neutral verhalten hat (was zwar ihr gutes Recht ist, aber trotzdem...)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen