Donnerstag, 9. September 2010

Tiere essen



Aus einem mir unbekannten Grund geraten viele Leute fast ausser sich, wenn sie erfahren, dass ich kein Fleisch esse. "Warum denn?" fragen sie, manche entsetzt, andere neugierig. Oft sind es Männer, die spotten: "Oh, häsch Mitleid mit de arme Tierli?" Die nächste Frage lautet fast immer: "Aber (Gott behüte!) Milch und Käse, das isst du doch, ja?" Wenn ich erzähle, dass ich grösstenteils schaue, dass ich auch diese Produkte vermeiden kann, überschlagen sie sich fast vor Sorge. Ungesund sei das, sagen sie. Krank, schon fast. Nun, sage ich dann, ich esse nun schon seit sechzehn Jahren so und fühle mich ganz ok. Ja, aber die Langzeitschäden, unken sie dann. Als wollten sie ernsthaft vegetarische Ernährung mit dem Rauchen vergleichen.
Keine Überraschung, dass im Land, wo Milch und Schokolade fliessen und der Käse sich in den Himmel stapelt die Leute der felsenfesten Überzeugung sind, ohne all diese Produkte würde man unverzüglich schwer krank werden. Die Milchlobby tut das ihre, um diese Gerüchte am Leben zu halten.

Merkwürdig, dass man mit so etwas Simplem wie dem Verzicht auf einige Nahrungsmittel soviel Empörung erzeugen kann. Wenn ich jetzt, ganz im Vertrauen, gestehen würde, dass ich gelegentlich Maden und Heuschrecken esse, sonntags auch mal panierte Regenwürmer, ja dann würde ich die Überraschung verstehen.
Anfangs hab ich mich stets gewehrt. Habe mit schlauen Argumenten gekontert oder frech zurückgefragt: "Und warum isst du Fleisch?" Mittlerweile bin ich es leid.
Nach der Lektüre unzähliger Fachbücher und wissenschaftlicher Artikel kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass ich mich mit dem Thema Ernährung erschöpfend befasst habe. Auf diesem Wissen beruht meine Entscheidung, was ich essen möchte und was nicht.
Ich glaube nicht, dass sich die vielen Leute, die mir glauben machen wollen, es sei eine kranke, ungesunde Entscheidung, keine tierischen Produkte essen zu wollen, sich über ihre eigene Ernährung soviele Gedanken machen.
Es lag mir immer fern zu missionieren. Ich finde, jeder soll selber entscheiden, was er sich in den Mund steckt, immer vorausgesetzt, er ist in der glücklichen Situation, eine Wahl zu haben. Aber ich finde auch, dass sich jeder zumindest einmal in seinem Leben damit auseinandersetzen sollte, was er Tag für Tag zu sich nimmt, woher die Dinge auf seinem Teller kommen und wie sie hergestellt wurden. Schliesslich ist das Essen ein elementarer Teil unseres Lebens.

Der Link führt zur deutschen "Zeit", die kürzlich ein sehr gutes Dossier zum Thema Vegetarismus veröffentlicht hat. Nebst der genialen Iris Radisch kommt auch ein Fleischliebhaber zu Wort. Ausserdem findet sich eine Buchkritik zu Jonathan Safran Foers neuem Buch: Eating animals.
Unbedingt lesen.

www.zeit.de/2010/33/Vegetarismus-Essay

2 Kommentare:

  1. Ich finde Du triffst wirklich fast immer sehr genau den Ton. Beim Schreiben, meine ich. Mach weiter so und lass nicht wieder so lange auf Dich warten! ;o)

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  2. Amen!

    Ich hab übrigens eine ähnliche Antwort auf die Frage "Bist du eigentlich immer noch Vegi?"

    "Ja, und du? Isst du immer noch Fleisch?"

    Roman

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