Montag, 6. Dezember 2010

De Samichlaus chunt



Als Kind hatte ich eine Riesenangst vor dem Samichlaus. Sobald es im Spätherbst ans Lernen der Lieder und Verse ging, war ich in ständiger Alarmbereitschaft.
Es reichte, wenn ich von fern ein Glöckchen bimmeln hörte, unvorbereitet einem schlecht rasierten Mann traf, oder es plötzlich nach Esel roch, dass mir das Herz in die Manchester-Latzhose rutschte.
Am liebsten hätte ich mich ab Ende November unter der Bettdecke verkrochen und gewartet bis die Zeit der bärtigen Paare vorbei war.

Da meine Eltern aber gern an Traditionen festhielten, war es früher oder später so weit: es klingelte nach dem Abendessen an der Tür und wir wurden geschickt, sie zu öffnen. Diese Ehre kam mir als Älteste zu. (Ich werde ein andermal über die Freuden und vor allem Leiden der Erstgeborenen berichten...)
Der Samichlaus, der meistens noch einen Schmutzli dabei hatte, wurde von meinen Eltern, wie ich fand, immer viel zu herzlich empfangen und hereingebeten. (Jetzt mal im Ernst, so behandelt ihr jemanden, der droht, eure geliebten Kinder mit der Rute zu züchtigen und gegebenenfalls in den dunklen Wald zu entführen?)

Schweissgebadet und mit zitternder Stimme trug ich in der guten Stube mein Versli vor (jedesmal ein "Out-of-body-experience"), wartete auf das dumpf gemurmelte "Seehr schöön" und sah den Schmutzli theatralisch nicken.

Dann folgte die Kinderversion des "Jüngsten Gerichts": der Bärtige schlug sein Buch auf.
Ich ward starr vor Angst und liess mich nicht von der Tatsache irritieren, dass der Samichlaus Jeans trug unter seiner Kutte und grosse Mühe hatte, seine Eintragungen zu entziffern. Ich wertschätzte noch nicht mal die netten Dinge, die er über mich erzählte: dass ich meinen Geschwistern immer so schön Geschichten erzähle, etwa. Denn es folgten ja stets die Sünden: Schnee hatte ich gegessen, und immer die Finken unter dem Esstisch liegen lassen. Und dabei schaute er finster, finster drein. Der Schmutzli nickte bedeutungsschwer und schwenkte bedrohlich seine Fitze.
Wenn ich endlich erlöst war und mit weichen Knien das Säckli mit Schokolade, Manderinen und Erdnüssen in Empfang nehmen durfte, musste ich um meine Geschwister bangen. Denn obwohl sie mir schon ab und an gehörig auf die Nerven gingen, wollte ich keinesfalls, dass sie der Chlaus mit in den Wald nahm.

Glücklicherweise sparten die Eltern eines Jahres beim Chlausbudget.
Mein Bruder und ich wunderten uns sehr, als es abends schicksalsschwanger an der Haustür klingelte und der Sohn unserer italienischen Nachbarn in roter Kutte da stand und erzählte, der Schmutzli sei heuer mit dem Esel im Wald geblieben. Natürlich konnte mein Bruder nicht an sich halten und flüsterte es der kleinen Schwester ins Ohr: "Es isch de Nico!" Womit das Geheimnis für alle ausser dem jüngsten, noch in Windeln liegenden Familienmitglied, keines mehr war.

Im Jahr darauf deponierte der Chlaus nur noch einen Sack vor der Tür.

Die heutigen Kinder sind, glaube ich, einiges unerschrockener.Da braucht`s schon mehr als zwei filzbärtige Kläuse mit einem muffigen Sack und ein paar Haselzweigen.
Ich war wohl ein über-ängstliches Kind, aber ehrlich gesagt, die fitze-freien Spass-Kläuse, die Geschichten erzählen, sich lachend auch freche Sprüchli anhören und dann säckeweise Nintendospiele auspacken, könnte ich auch nicht ernst nehmen.

Meine Grossmutter musste in der Schule noch stundenlang mit blossen Beinen auf einem Holzscheit knien (und nicht etwa einem flachen, betont sie immer), wenn sie mit der Banknachbarin plauderte, statt aufzupassen. Nachdem sie auf beide Handflächen mit einer Haselrute blutrote Striemen einkassiert hatte.
Das wünsche ich wirklich keinem Kind.

Aber dem einen und anderen würde es gut tun, wenn es etwas mehr gefordert und weniger gehätschelt würde.

Ich sage, die Zeit ist reif für den Retro-Klaus der aufräumt mit der antiautoritären Kuschelpädagogik! Das betrifft weder Lehrer noch Kinder, oh nein, damit meine ich die Eltern. Diejenigen, die mit ihren Kindern "Kollegen" sein wollen, diejenigen, die sich aus der Verantwortung ziehen und alle Erziehungsaufgaben an Schule und Staat abschieben, aber auch jene, die ihre Kinder mit materiallen Gütern überschütten und ihnen alle Verpflichtungen und Widrigkeiten des Lebens abnehmen.

Und wenn der Samichlaus mit seinem grossen Sack durchs Land zieht und einpackt, soll er doch bitte gleich folgende Leute mitnehmen:
- Sepp Blatter
- Silvio Berlusconi
- Sarah Palin
- und Paris Hilton.

Wobei die vier wohl viel zu viel Spass miteinander hätten im Sack...

Darum packen wir gleich noch alle Leute ein, die
- im Zug alle zwei Minuten geräuschvoll den Rotz hochziehen
- auf den Boden spucken
- andere Leute nicht aussteigen lassen
- und Abfall auf den Boden werfen.

Oh, da ist noch Platz für
- Spongebob
- und Lillifee!

Noch immer Platz im Sack.

Na, wenn wir schon beim Aufräumen sind, lieber Samichlaus, nimm doch auch gleich noch folgenden Gerümpel mit:
- Gratiszeitungen
- Plastikverpackte Mikrowellengerichte
- Batteriebetriebene Spielsachen
- Ugg Boots
- Laubbläser
- Roben von Lisbeth Egli
- und künstliche Chemineefeuer.

So fast voll. Nur noch ein kleines bisschen Platz. Das reicht gerade noch für Jeanette Eggenschwiler, die sich scheinbar nur von Sonnenstrahlen und Regentropfen ernährt.

So und damit schliesse ich meine Betrachtungen zum Thema Samichlaus vorerst.
Der Vollständigkeit halber muss ich vielleicht noch anfügen, dass die Hauptaufgabe des Samichlauses selbstverständlich nicht ist, Angst und Schrecken zu verbreiten.

Der Brauch beruht auf einer christliche Tradition, die zu pflegen auch mir ehrenwert scheint. Was wäre der 6. Dezember ohne Samichlaus, bzw. St. Nikolaus?
Schön, wenn es gelingt, den Anlass irgendwo zwischen frühkindlichem Trauma und sinnloser Geschenkeflut anzusiedeln.

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