Samstag, 4. Dezember 2010

Oh du fröhliche!



Die Vorbereitungen zur Jährung der Geburtsstunde des christlichen Abendlandes, dem Fest der Liebe, entbehren nicht einer gewissen Ironie. Statt Nächstenliebe weckt sie bei nicht wenigen, ansonsten friedlichen Leuten versteckte Aggressionen, provoziert durch allzu weihnachtsgeile Mitmenschen.

Kunstschnee, Kitsch und klingelnde Kassen: Wer von Mitte Oktober an täglich gezwungen ist, an Heilsarmeechören, poposchwingenden Nikoläusen, hektisch blinkenden Lichterketten und Christbäumen, bei deren Dekoration der Zuständige unter LSD-Einfluss gestanden haben muss, vorbeizugehen, kann ja nicht liebend und besinnlich werden.

Zudem wird in der Adventszeit wohl mehr Zucker konsumiert, als das ganze restliche Jahr über. Vermutlich liegt dies an der unheilvollen Kombination aus Dunkelheit und miesem Wetter. Wenn sich der Hochnebel wie eine schwere Decke über das Mittelland legt und der Nieselregen kalt und kraftlos vom Himmel tröpfelt, verbreiten sich Miesepeter, Depressionen und Suizidgedanken schneller als Grippeviren. Dagegen helfen nur Glühwein, Lebkuchen und gaanz viel Schokolade.

Warum also diese Überstimulation der Sinne nicht häufiger Amokläufe auslöst, ist mir ein Rätsel. Jedes Jahr warte ich auf Schlagzeilen wie: „Nackter Nikolaus reisst Rentner Bart ab!“, „Massenhysterie bei Globus! Mehrere Kassierinnen mit Schreikrämpfen in Spital eingeliefert!“ oder „Horror-Grosi: Überzuckerte Oma schlägt mit FranzCarlWeber-Tasche Kinder tot!“

Schuld an der Misere sind die kirchlichen Oberhäupter.
Wer sonst hat Weihnachten ausgerechnet in den Dezember gesetzt? Nebst allen anderen, manchmal sehr schwierig einzuhaltenden Gesetzen sollen wir uns ausgerechnet zu einer Zeit unseres Lebens erfreuen, in der wir normalerweise einfach unsere Ruhe haben möchten.

Lustig, lustig, trallalalla!

Wäre Weihnachten im Juli, würden wir uns jetzt friedlich in unsere Drei-Zimmer-Höhlen zurückziehen, Schokolade essen und fernsehen, bis der Frühling kommt. So aber sind wir gezwungen, wieder und wieder das Haus zu verlassen und uns mit Kind und Kegel an Laternenumzüge, Samichlausbesuche, Solidaritätsbasare, Weihnachtsessen und Sonntagsverkäufe zu begeben. Und dabei sollen wir uns auch noch alle ganz ganz fest freuen und lieb haben!

Gut, an Nestwärme und Körperkontakt fehlt es zumindest in der Nahkampfzone Innenstadt nicht. So mancher setzt aber im Gedränge um die besten Objekte oder den schnellsten Weg an die Kasse nebst Ellenbogen auch Taschen, Schirme, brüllende Kinder und Miniaturkampfhunde ein.

Am liebsten würde man seinen Mitmenschen die ausrangierten Zürcher Bahnhofstrassenweihnachtsbeleuchtungsknüppel über die Schädel ziehen, o du fröhliche hin oder her, weil einem der ganze Zirkus einfach so gewaltig auf den Keks geht, den puderzuckerbestäubten Weihnachtskeks.

Ho, ho, ho, das wäre zumindest ein Vorteil der schleichenden Islamisierung, wagt man heimlich zu denken, wenn dadurch das ganze Weihnachtsrambazamba ein bisschen runtergedreht würde.

Der schlimmste Aspekt am Vorweihnachtsrummel ist der Konsum- und Kaufzwang.

Betrachten wir nur mal die grosse Suche nach passenden Weihnachtsgeschenken: Oft ein Wettlauf mit der Zeit, welcher unmenschliche Willenskraft, Ausdauer und Geduld benötigt und einer Odyssee voller heimtückischer Fallen, versteckter Fettnäpfchen und ungeschriebenen Regeln gleicht.

Mein Vorschlag an die Game-Industrie: Warum nicht mal ein Weihnachtsspiel für Heranwachsende, etwa mit dem Titel „The Gift Quest“?
In einer virtuellen Innenstadt gälte es, in möglichst kurzer Zeit und mit minimalstem Budget das passende Geschenk für die Angehörigen zu finden. Wie im echten Leben gäbe es natürlich verschiedene Levels: Finde ein Geschenk für den, der alles hat. Finde ein tolles, individuelles Geschenk, das nicht mehr als fünf Franken kostet. Finde ein Geschenk in weniger als einer Stunde. Finde ein Geschenk für die 98-jährige, halb-senile Tante. Finde ein tolles Geschenk für dein Göttikind, dessen Eltern alles was aus China kommt und/oder aus Plastik ist, Batterien, Weissmehl oder Zucker enthält, kategorisch ablehnen. Natürlich ohne dass dich dein Göttikind hasst.

Pädagogisch wertvoll, denn auf den Weihnachtsrummel der Erwachsenen wird man als Kind wirklich nur ungenügend vorbereitet: Man stelle sich vor, der Liebste überreicht einem unter dem Baum eine Halskette aus Teigwaren. Da kann sie noch so liebevoll selbstaufgefädelt sein! (Es sei denn, man verschenkt im Gegenzug einen handbemalten Kleiderbügel.) Im Normalfall ist die Scheidung vorprogrammiert: Game over!

In der Weihnachtsbewältigung sehe ich noch so manche Marktlücke.
Wie wäre es beispielsweise mit einem Seminar: „The X-mas Boot Camp: „Ruhig bleiben in der Weihnachtszeit“? Hier könnte man Krafttraining (Heben und Senken von schweren Taschen) und Hindernisläufe (für Fortgeschrittene: mit Christbaum, Harndrang und schreiendem Kind unter dem Arm), mit Zen-Übungen (Geduld und Ruhe bewahren) verbinden, einen Crashkurs Hypnose besuchen („Was wünscht sich meine Freundin zu Weihnachten?“) oder Meditation und Mantra-Chanten lernen (Etwa: „Ich bleibe ruhig, alles geht vorbei, ich bleibe ruhig, alles geht vorbei…“ oder: „Ich werde dem Zimtstern widerstehen, ich werde dem Zimtstern…“).
Die Abschlussprüfung würde dann bei Franz Karl Weber stattfinden.

Boomen würde bestimmt auch ein Geschenke-Verpack-Kurs. Wer nämlich seinen Einkauf erfolgreich und unbeschadet überstanden hat, steht schnell vor neuen Schwierigkeiten. Ich verschenke nur aus einem Grund jedes Jahr Bücher: weil sie sich leicht einpacken lassen. Ich behaupte, dass nur wegen des leidigen Verpackproblems jedes Jahr so viele DVDs, CDs und Bücher unter den Christbäumen landen. Wer schon mal versucht hat einen Plüschelefanten von beträchtlicher Grösse einzupacken, weiss wovon ich rede.

Und wenn wir schon beim Thema sind: welche Drogen nehmen Geschenkpapierdesigner und wo kriegt man sie?

Wäre ich Königin der Eidgenossenschaft, ich würde Geschenkpapier nur noch in Uni-Farben drucken lassen und die Todesstrafe auf Geschenkbändeli-Chrüseler aussetzen, jawohl. Und renitente Rentnerinnen, die optisch gebrechlich und harmlos wirken, im Weihnachtsgetümmel aber nicht vor roher Gewalt zurückschrecken, würden gebrandmarkt. Kunstschnee und weisse Wattebärte wären verboten!
Und natürlich hätte ich Sklaven für die Drecksarbeit: den Weihnachtseinkauf.


Für alle Unbekehrbaren hier mein Shopping-Tipp für Geschenke und einen Weihnachtsmarkt der anderen Art:
Der Design-Weihnachtsmarkt, der noch bis morgen Abend in der Kornschütte in Luzern stattfindet. Hier gibts Produkte von jungen Schweizer Designern: ungewöhnlich, praktisch und meistens gar nicht so teuer.

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